Aktualisiert am 13. September 2025 von Angelika
Heute habe ich einen Tagesausflug in die Umgebung von Gomadingen unternommen, um die Gedenkstätte Grafeneck zu besuchen. Während der NS-Zeit war Grafeneck eine der ersten Tötungsanstalten des sogenannten T4-Programms, in der Menschen mit geistigen und psychischen Beeinträchtigungen systematisch ermordet wurden. Heute ist der Ort ein geschützter Lebensraum für Menschen mit Beeinträchtigungen, die hier in Wohngruppen inmitten der sanften Hügel der Schwäbischen Alb leben.
Die Kombination aus bedrückender Geschichte, Erinnerungskultur und lebendiger Gegenwart macht Grafeneck zu einem besonderen Ort. Zugleich bietet die Region rund um Gomadingen reizvolle Landschaften, charmante Dörfer und kulturelle Höhepunkte – von historischen Bauwerken über spannende Lehrpfade bis hin zu traditionsreichen Gestüten. Mein Tagesausflug verbindet all diese Eindrücke und zeigt, wie Vergangenheit, Gegenwart und Natur hier eng miteinander verwoben sind.
Dokumentationszentrum Grafeneck
Von der L247 führt eine schmale Straße hinaus zum Gebäudekomplex, der heute aus Schloss, Dokumentationszentrum, Gedenkstätte und den Wohngebäuden des Samariterstifts Grafeneck besteht. Ich folge der Straße und lande direkt auf dem Parkplatz schräg gegenüber des Dokumentationszentrums.
Das moderne Gebäude fügt sich unaufdringlich in die Landschaft ein. Schon von außen vermittelt es Ruhe und Nachdenklichkeit.
Im Inneren wird die Geschichte des Tatorts und der Opfer eindringlich dargestellt. Die Ausstellung zeigt anhand von Dokumenten und Zeugnissen, wie die NS-Ideologie zwischen „lebenswertem“ und „lebensunwertem“ Leben unterschied – und wie daraus die Euthanasie-Morde und später der Völkermord an den europäischen Juden hervorgingen. Gleichzeitig mahnt das Zentrum zur Auseinandersetzung mit aktuellen Formen von Rechtsextremismus, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit.
Gedenkstätte – die fünfeckige offene Kapelle
Zur Gedenkstätte führt eine Allee zwischen den Wohnhäusern der heutigen Bewohner. Eine steinerne Schwelle trägt die Namen der über 40 Einrichtungen, aus denen die Opfer nach Grafeneck gebracht wurden.
Das fünfeckige Dach der Kapelle erinnert an das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“, die Stahlträger symbolisieren die Dornenkrone Christi, und ein Riss in der Rückwand steht für den in Grafeneck begangenen Zivilisationsbruch. Entworfen wurde die Kapelle vom Nürtinger Architekten Professor Weinbrenner, gestaltet vom Bildhauer Rudolf Kurz aus Stimpfach.
Gedenk- und Namensbuch
Das Namens- und Gedenkbuch enthält die Namen von über 9.800 Opfern, die bisher identifiziert werden konnten. Beim Durchblättern wird mir die unfassbare Zahl der ausgelöschten Leben bewusst.
Alphabet-Garten
26 Steinquader, jeweils mit einem Buchstaben des Alphabets, symbolisieren die Namen der Opfer. Eine kraftvolle Erinnerung, dass jedes Leben zählt.
Gedenktafel auf dem Friedhof neben der Gedenkstätte
Eine bronzene Tafel erinnert an die Opfer und mahnt zur Wachsamkeit gegenüber Diskriminierung und Gewalt. Zwei große, blumengeschmückte Gräber enthalten die Asche der Ermordeten.
Renaissance-Schloss Grafeneck
Ich laufe über die Allee zurück und vorbei am Dokumentationszentrum zum Schloss.
Das Schloss entstand um 1560 anstelle einer mittelalterlichen Burg und wurde später von Herzog Carl Eugen zu einem barocken Sommerresidenzschloss erweitert. Nachdem die Herzöge das Interesse verloren nutzte das Forstamt das Anwesen.
1928 kaufte die Samariterstiftung das Schloss und richtete ein Behindertenheim ein. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmte die NS-Regierung das Gelände und wandelte es in eine Tötungsanstalt im Rahmen des „Euthanasie“-Programms um. Das Personal wurde im Schloss einquartiert. Heute beherbergt das Schloss die Verwaltungsräume der Samariterstiftung, die das Anwesen nach 1946/47 zurückerhielt. Die historische Fassade beeindruckt trotz der düsteren Vergangenheit.
Blick von der Aussichtsterrasse hinter dem Schloss
Von der Terrasse eröffnet sich ein weiter Blick über die sanfte Hügellandschaft der Schwäbischen Alb. Ein Moment der Stille und des Innehaltens.
Historischer Hintergrund:
Grafeneck war von Januar bis Dezember 1940 eine der ersten NS-“Euthanasie”-Tötungsanstalten im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“. Hier wurden Menschen mit geistigen und psychischen Beeinträchtigungen systematisch ermordet – insgesamt 10.654 Opfer aus ganz Baden, Württemberg und Hohenzollern. Die Tötungen fanden in einer Gaskammer statt, die in einem Schuppen eingerichtet wurde. Bis Ende 1940 waren damit etwa 50 % aller Bewohner von Heil- und Pflegeanstalten ermordet. Nach Einstellung der Aktion T4 wurden viele Täter in den Vernichtungslagern weiterbeschäftigt.
Heute:
Grafeneck ist ein sicherer und lebendiger Wohn- und Lebensraum für Menschen mit psychischen und geistigen Beeinträchtigungen. Die Gedenkstätte erinnert an die Opfer der NS-Euthanasie und umfasst u. a. die Kapelle, das Gedenk- und Namensbuch sowie den Alphabet-Garten.
💡 Besucherhinweis: Die Gedenkstätte Grafeneck ist frei zugänglich. Das Dokumentationszentrum ist täglich von 9:00 – 20:00 Uhr geöffnet.
Alte Mühlenscheuer in Gomadingen – Bäckerei-Konditorei Glocker
Nach der Besichtigung gönne ich mir eine Pause. An der Kuchentheke wähle ich einen Käsekuchen mit Aprikosen. Die Terrasse liegt direkt an der Großen Lauter – perfekt, um die Eindrücke sacken zu lassen.
Blick auf den Sternberg mit Aussichtsturm
Für eine Wanderung reicht die Zeit diesmal nicht, aber der Blick auf die sanften Hügel der mittleren Kuppenalb im warmen Licht des Herbstes ist beeindruckend. Nächstes Mal nehme ich den Turm in Angriff.
Der Planetenweg
Gegenüber des Wanderparkplatzes an der Marbacher Straße entdecke ich dieses Schild über den Saturn.
Der etwa 10 km lange Lehrpfad zeigt die Planeten unseres Sonnensystems im Maßstab – ideal für einen Spaziergang mit Kindern oder einfach, um die Landschaft zu genießen.
Haupt- und Landesgestüt Marbach
Mein letzter Stopp ist das Gestüt Marbach, berühmt für die Zucht edler Araber-Pferde. Gepflegte Anlagen, elegante Tiere – ein perfekter Abschluss dieses intensiven Tages.
Fazit des heutigen Tages
Besonders beeindruckt hat mich in Grafeneck, wie Vergangenheit und Gegenwart hier miteinander verbunden sind: Die Erinnerung an die Opfer mahnt zur Mitmenschlichkeit, während die heutige Einrichtung Menschen mit Beeinträchtigungen ein geschütztes Zuhause bietet. Meine Abstecher nach Gomadingen, zum Planetenweg und zum Gestüt Marbach zeigen, wie reich die Region an Kultur, Natur und Genussmomenten ist – ein Tag voller intensiver Eindrücke, die mich noch lange begleiten werden. Ich komme sicher wieder, um das Große Lautertal weiter zu entdecken!
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