Aktualisiert am 27. August 2024 von Angelika
Im Laufe meines Lebens habe ich in verschiedenen Städten gelebt, die alle ihre eigenen Geschichten und Besonderheiten haben. Jeder dieser Orte hat mich geprägt und mir wertvolle Erfahrungen und Erinnerungen beschert. In diesem Artikel möchte ich dich mit auf eine Reise nehmen, die von meiner Heimatstadt Sindelfingen über die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart und die altehrwürdige Hansestadt Bremen bis in die IT-Hochburgen Kaliforniens führt. Von meiner Kindheit in Sindelfingen über meine Ausbildung und ersten Berufserfahrungen in Stuttgart, die Freuden und Dramen in Bremen, bis hin zu den intensiven Erlebnissen in Kalifornien hat mich jeder dieser Orte auf seine Weise geprägt.
Diese Städte sind mehr als nur geografische Punkte auf der Landkarte – sie sind Stationen meines Lebens, die mich wachsen ließen und mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute bin. Begleite mich auf diesem Roadtrip in die Vergangenheit, und entdecke die Orte, die für meine persönliche Geschichte von Bedeutung waren und mit denen ich besondere Erinnerungen verbinde.
Dies ist mein Beitrag zu meiner Blogparade In diesen Städten habe ich schon mal gewohnt, an der du noch bis 1. September 2024 teilnehmen kannst. Mit dieser Blogparade nehme ich am Blogparaden-Sommer von The Content Society teil.
Heimatstadt Sindelfingen: Wo alles begann
Ging es dir in deiner Jugend auch so, dass du deine Heimatstadt als langweilig empfunden hast und so schnell wie möglich wegwolltest? Ich bin in der „Daimler-Stadt“ Sindelfingen aufgewachsen – und kehrte nach einer achtjährigen Zwischenstation in Bremen wieder ins Schwabenland zurück.
In den 1960er- und 1970er-Jahren legten wir fast alle Strecken zu Fuß zurück, sogar bis zum Kaufhaus Hertie in der Nachbarstadt Böblingen. Wir wohnten in einem neuen Wohngebiet auf dem Goldberg, nahe der Stadtgrenze zu Böblingen, mit typischen 1960er-Jahre-Wohnblocks. Für damalige Verhältnisse waren diese geräumigen Wohnungen ein Zeichen des beginnenden Wohlstands. Die Straßen waren ruhig, sodass wir Kinder Rollschuhlaufen konnten, ohne dass unsere Mütter sich Sorgen machen mussten.
Wo heute die A81 zwischen Böblingen und Sindelfingen verläuft, war eine große Wiese – unser Spielparadies. Dahinter lag die Bahntrasse, über die eine Brücke führte. Unsere Mutter schickte meine Schwester und mich oft mit einer Blechmilchkanne zum Bauernhof auf der Böblinger Seite der Brücke, um dort einen Liter Milch zu holen. Das Freibad erreichten wir nach einem zwanzigminütigen Fußmarsch, den wir im Hochsommer fast täglich unternahmen. Im angrenzenden Wald spielten wir oft Verstecken. Ich glaube nicht, dass es heutzutage noch Kinder gibt, die allein im Wald spielen …
Sobald ich lesen konnte, zog es mich in die moderne Sindelfinger Stadtbibliothek. Mit meinen Freundinnen lief ich nachmittags den Goldberg runter in die Stadt, um dort in den Büchern zu schmökern, denn das Geld für eine Busfahrkarte hätten wir von unserem Taschengeld abzwacken müssen.
Die Sindelfinger Altstadt mit ihren vielen Fachwerkhäusern – heute saniert und herausgeputzt – war damals nicht gerade ein Schmuckstück. Wir schlugen diese Richtung nur ein, um im Schallplattenladen mit Kopfhörern die LPs der Beatles anzuhören, die wir anschließend kauften, wofür unser ganzes Taschengeld draufging.
Gegen Ende meiner Schulzeit hatte ich genug vom provinziellen Sindelfingen und wollte so schnell wie möglich in eine richtige Stadt, nachdem ich bereits London und Berlin kennengelernt hatte.
Stuttgart: Ausbildung, Berufsstart und Zwischenmenschliches
In der 11. Klasse des Gymnasiums wurde mir die Schule unerträglich – im Rückblick war es allerdings nur ein bestimmter Lehrer, der mir das Leben zur Hölle gemacht hatte. Ich beschloss, eine Ausbildung zur Wirtschaftskorrespondentin für Englisch zu machen. Meine Eltern waren vielleicht sogar froh, mir kein langes Germanistik-Studium finanzieren zu müssen. Ich fand eine bezahlbare Sprachenschule in Stuttgart, die diesen Ausbildungsgang anbot. Mit dem volks- und betriebswirtschaftlichen Grundwissen, das wir dort erwarben, konnten wir nach dem Abschluss auch Sachbearbeitertätigkeiten in internationalen Firmen übernehmen.
Ich fuhr täglich mit dem Bus nach Stuttgart, wo ich mal vormittags, mal nachmittags Unterricht hatte und neue Freundschaften schloss. Vor oder nach der Schule diskutierten wir in der Kneipe um die Ecke mit den Abiturienten des gegenüberliegenden Zeppelin-Gymnasiums und einem Personenschützer des Ministerpräsidenten stundenlang über die RAF und betrauerten gemeinsam den Tod John Lennons.
In dieser Zeit lernte ich Stuttgart recht gut kennen. Mit meinen Kommilitoninnen verbrachte ich viel Zeit in den Cafés der Innenstadt rund um die Königstraße, wir gingen zu Konzerten, die damals oft in den Messehallen auf dem Killesberg stattfanden. Schleyerhalle, SI-Zentrum und die neue Messe am Flughafen existierten damals noch nicht.
Nach meinem Abschluss fand ich schnell eine Anstellung bei einer Stuttgarter Spedition, die regelmäßig Absolventinnen unserer Schule rekrutierte. In den frühen 1980er-Jahren drängten viele Babyboomer auf den Arbeitsmarkt, und ich schätzte mich glücklich, so schnell einen Job zu finden. Dort traf ich Susanne wieder, die ebenfalls die Sprachenschule besucht hatte. Wir lagen auf der gleichen Wellenlänge, fuhren 1981 zusammen zur großen Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten, durchlebten viele Höhen und Tiefen zusammen und sind bis heute eng befreundet.
Trotz der Errungenschaften der Frauenbewegung war es in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren üblich, sich zu verloben und zu heiraten. Ich verlobte mich mit 19 mit meinem Freund und zog mit ihm nach Stuttgart. Wohnungen in der Innenstadt waren unbezahlbar, und da mein Freund seinen Wehrdienst ableisten musste, war ich die Hauptverdienerin. Wir zogen in eine kleine Dachwohnung in Plieningen, nahe dem Flughafen. Die Dusche war neben der Kochnische ins Wohnzimmer integriert, und wegen des Fluglärms begann ich, nachts Ohropax zu tragen – eine Angewohnheit, die ich bis heute beibehalten habe.
Der Start ins Berufsleben und der Auszug aus dem Elternhaus verliefen für mich nicht so geschmeidig wie erhofft. Ich fühlte mich beruflich unter- und privat überfordert, was zu psychischen Problemen und mehreren Krankenhausaufenthalten führte.
Zwischen den Krankenhausaufenthalten lernte ich den Sachbearbeiter einer Bremer Spedition kennen und entschloss mich innerhalb weniger Monate, mich von meinem Verlobten zu trennen und nach Bremen zu ziehen.
Herausforderungen und Glücksmomente in Bremen
Über eine Bekannte meines neuen Partners fand ich eine Stelle als Chefsekretärin in einer internationalen Anwaltssozietät mitten in Bremen. Schon nach dem ersten Gespräch erhielt ich eine Zusage. Die Arbeit und die Menschen dort trugen mich durch meine acht Bremer Jahre, die alles andere als einfach waren.
Kennst du das Gefühl, wenn man in eine neue Stadt zieht und sich alles fremd anfühlt? Genau so ging es mir zunächst in Bremen. Das Wetter war meistens schlecht, die Winter grau und verregnet, und beim Einkaufen wurde ich oft nicht verstanden. Obwohl ich meiner Meinung nach perfektes Hochdeutsch sprach, wurde ich von den Bremern in der Regel sofort als Schwäbin identifiziert. Ich erinnere mich, dass ich an der Fleischtheke mal „gerauchten Bauch“ bestellte und nur einen verständnislosen Blick erhielt. Nachdem ich in der Auslage gezeigt hatte, was ich wollte, rief die Verkäuferin belustigt „Ach, sie meinen ‚gestreiften Speck‘!“ Beim gleichen Einkauf erfuhr ich, dass „Schweinehals“ in Bremen „Nackenkoteletts“ sind.
Doch die Stelle in der Anwaltssozietät war ein Glücksfall für mich. Die Arbeit und die Menschen dort trugen mich durch meine acht Bremer Jahre, die alles andere als einfach waren. Als es privat schwierig wurde, freute ich mich jeden Tag auf die Arbeit. Mit meinem Chef verfolgte ich gebannt den Fall der Berliner Mauer am Transistorradio. Jedes Jahr im Januar oder Februar ging es mit der ganzen Belegschaft auf „Kohlfahrt“. Zuerst wurde eine Wanderung gemacht. Die Bürovorsteher zogen einen geschmückten Bollerwagen, auf dem Spielutensilien, Schnaps und Snacks transportiert wurden. Die Wanderungen wurden von Spielen wie Teebeutelweitwurf, Gruppenbeinlauf oder Erbsenlauf aufgelockert. So kamen wir Kohlfahrer in bester Stimmung am Ziel an – einem Restaurant, in dem das große traditionelle Grünkohlessen stattfand, Kohlkönig und Kohlkönigin gekrönt wurden und wir bis in die Nacht tanzten. Wer nicht abgeholt werden konnte, durfte auf Kosten der Sozietät mit dem Taxi nach Hause fahren. Es war eine tolle, kollegiale Gemeinschaft zwischen den Anwälten und den Büroangestellten, in der absolut legendäre Feste gefeiert wurden.
Unsere Tochter Anna kam am 25. September 1986 zur Welt, und ich war die 500. Mutter, die in der neuen Bremer Frauenklinik entband. Da kam sogar ein Bremer Senator mit einem Blumenstrauß vorbei, doch ich war so glücklich über meinen kleinen Schreihals, dass ich keinen Kopf hatte, mir den Namen des Senators zu merken. Nach der Trennung von meinem Mann blieb ich mit Anna in dem Haus auf dem Land, etwa 20 Kilometer außerhalb von Bremen, also schon in Niedersachsen. Anna ging in eine private Kindertagesstätte mit Fahrdienst. Jutta, die eine Zeitlang die Fahrerin war, lud sich eines Tages zum Tee bei mir ein und wurde meine beste Freundin. Sie unterstützte mich in dieser schwierigen Zeit und besuchte uns oft – auch noch, nachdem ich mit Anna 1992 in die Nähe meiner Eltern nach Sindelfingen, den Ort meiner Kindheit, zog.
Obwohl ich in den letzten Jahren außerhalb von Bremen gelebt hatte, war die Stadt zu meiner zweiten Heimat geworden. Hierher kam ich tagtäglich, um zu arbeiten und verbrachte fast jede Mittagspause in der Sögestraße, der Obernstraße oder auf dem Marktplatz. Auch ans Bremer Vokabular und Essen hatte ich mich gewöhnt. Dass eine Lyoner hier Mortadella heißt, eine Fleischwurst Gekochte („mit“ oder „ohne“ … Knoblauch) und dass man Salami Mettwurst nennt (ebenfalls „mit“ oder „ohne“), war mir in Fleisch und Blut übergegangen. Zurück in der Heimat stellte ich schockiert fest, dass man bei einem schwäbischen Metzger Mortadella und nicht Lyoner bekommt, wenn man Mortadella verlangt.😆
Sindelfingen: Neustart in der Heimat
Ich hatte meine Eltern und meine Schwester vermisst und freute mich, wieder in ihrer Nähe zu sein. Doch die Rückkehr nach acht Jahren war fast so schwierig wie der Wegzug. Es war nicht nur für mich schwer, sondern auch für meine fünfjährige Tochter. Eine neue Wohnung, eine neue Kita, der Papa, der Bruder und Jutta weit weg – alles änderte sich für sie. Wir wohnten nicht direkt in Sindelfingen, sondern etwas außerhalb im Stadtteil Maichingen.
Meine Familie und meine Freundin Susanne aus der Stuttgarter Zeit halfen uns, im neuen Umfeld Fuß zu fassen. Aber ich brauchte auch eine neue berufliche Herausforderung. Nach acht Jahren in der Anwaltskanzlei war ich vom Schriftsätzetippen gelangweilt. In einem globalen IT-Unternehmen, das mir sogar den Umzug finanzierte, arbeitete ich wieder als Sekretärin für den Leiter der Rechtsabteilung – inhaltlich kein riesiger Unterschied, menschlich aber schon. Anfangs vermisste ich meine Bremer Anwälte und Kolleginnen sehr, aber ich wusste, es gab kein Zurück.
Mit der Zeit fand ich mich in die Strukturen des großen Konzerns ein und nutzte die Weiterbildungsmöglichkeiten. Ende der 1990er-Jahre begann ich ein betriebswirtschaftliches Abendstudium, das mein Arbeitgeber bezuschusste. Ich wuchs in anspruchsvolle Aufgaben hinein und wurde Controllerin und schließlich Business Process Analyst, zunächst auf deutscher, später auf europäischer und letztlich auf weltweiter Ebene. Dadurch konnte ich geschäftlich reisen, was als alleinerziehende Mutter vorher nicht möglich war. Ich flog nach Südafrika, Indien, Bukarest, London und Kalifornien.
Eine neue Partnerschaft ab 1999 brachte weitere Herausforderungen. Nach zehn Jahren mit meiner Tochter allein, funktionierte es zu dritt nicht gut. Ich fühlte mich oft zerrissen zwischen meinem Kind und meinem Freund. Meine Tochter zog mit 17 mit ihrem Freund zusammen, was mich mehr belastete, als ich erwartet hatte. Beruflich wurde es in einem neuen Team schwierig und mit meinem Freund klappte es nach dem Auszug meiner Tochter keinesfalls besser als vorher. Eine Psychotherapie gab mir neuen Mut und die Kraft, mich nach sechs Jahren Beziehung zu trennen. Meine Freundin Jutta aus Norddeutschland schlug vor, zusammen eine WG zu gründen.
Herrenberg: WG-Zeit und berufliche Wendepunkte
Herrenberg, eine charmante Kleinstadt an der Deutschen Fachwerkstraße, wurde für über zwei Jahre mein Zuhause. Gemeinsam mit Jutta teilte ich eine Dreizimmerwohnung, was mir nach dem Auszug meiner Tochter und der Trennung von meinem Partner sehr guttat. Unsere WG war harmonisch und voller schöner gemeinsamer Erlebnisse, auch wenn Jutta nicht verhindern konnte, dass ich mich in die Arbeit stürzte, um den Anforderungen meines neuen Jobs als Projektcontrollerin gerecht zu werden.
Ich hatte große Schwierigkeiten, mich in die neuen Aufgaben und vor allem das neue Team einzufinden. Aber es liegt in meiner Natur, nicht aufzugeben. Der Wendepunkt in meinem Berufsleben war eine vierwöchige Reise nach Indien zusammen mit meinem Manager, wo ich die indischen Projektcontroller vor Ort einarbeiten sollte. Ich war eine der wenigen, die dazu bereit waren – mehr noch, ich wollte es unbedingt! Ich machte endlose Überstunden, um die Einarbeitung neben meinem Tagesgeschäft vorzubereiten.
Schon in meinem vorigen Job als Schulungskoordinatorin war ich mehrfach nach Südafrika gereist, um meine Aufgaben an die Johannesburger Kollegen zu übergeben. Es fiel mir leicht, mit Menschen aus anderen Kulturkreisen eine Beziehung herzustellen und mein Wissen weiterzugeben. Dass ich mich für alles Fremde und Unbekannte interessiere, half dabei. Die drei Wochen im Büro in Chennai und die anschließende einwöchige Rundreise durch Rajasthan mit meinem damaligen Manager sind unvergessliche Erfahrungen.
Beruflich begann nun meine beste Zeit und es ging stetig voran. Meine Vorgesetzten förderten mich und schätzten meine interkulturellen Kompetenzen.
Nach zwei gemeinsamen Jahren in Herrenberg zog Jutta zurück in ihre Heimat, um ihrer schwer erkrankten Mutter beizustehen. Da ich näher an meinem Arbeitsplatz wohnen wollte, suchte ich mir eine Wohnung in Sindelfingen, nur ein paar Kilometer von meinen Eltern entfernt, wo ich noch heute lebe.
Kurz darauf zog meine Tochter Anna nach Innsbruck, was mir sehr zu schaffen machte, da wir uns bis dahin wenigstens einmal wöchentlich gesehen hatten.
Roseville, Kalifornien: Vom Traum zum Albtraum
Das Jahr von November 2016 bis Ende 2017 nehme ich in meine Übersicht der Orte, an denen ich gewohnt habe, mit auf, denn es fühlte sich an, als ob ich kein Zuhause mehr hatte und vorwiegend in Hotels lebte. Diese Erfahrung hat mein Leben und meine Einstellung zum Reisen, insbesondere die zum digitalen Nomadentum, grundsätzlich verändert.
Im April 2016 war meine Mutter völlig unerwartet gestorben, ein Schock für unsere Familie. Um mich abzulenken, stürzte ich mich in die Arbeit. Ich freute mich, als mir im Herbst die Mitarbeit in einem internationalen IT-Projekt angeboten wurde, das mit vielen Reisen in die USA verbunden war. Im November 2016 flog ich erstmals nach Sunnyvale, Kalifornien, und verlängerte den Aufenthalt für ein Wochenende in San Francisco – ein Jugendtraum ging in Erfüllung. Unvergesslich ist mir meine Wanderung vorbei an den Painted Ladies über den Presidio bis zur Golden Gate Bridge, wo ich bei absolut klarem Himmel großartige Ausblicke auf die ikonische Brücke genoss.
Monatliche Reisen nach Kalifornien mit jeweils ein bis zwei Wochen Aufenthalt folgten, und unsere Meetings wurden vom Silicon Valley nach Roseville bei Sacramento verlegt, um Kosten zu sparen. Obwohl der Zeitdruck stieg, genoss ich die ersten Monate meines neuen Lebens und nutzte die Überstunden für private Kurztrips vor oder nach den Arbeitseinsätzen, zum Beispiel einen Roadtrip auf dem Highway No. 1 von San Francisco nach Los Angeles. Das waren wunderbare Erlebnisse, für die ich dankbar bin.
Ab dem Frühjahr stieg der Druck und wir gingen während unserer Projekt-Meetings nicht mehr in die Kantine zum Mittagessen. Das Essen wurde uns von Caterern geliefert zum Konferenzraum geliefert, damit wir weiterarbeiten konnten. Auch samstags arbeiteten wir oft. Der Ort Roseville hat mich nicht sonderlich beeindruckt. Ich erinnere mich nur an einige Shopping Malls, die wir in unserer knapp bemessenen Freizeit gelegentlich aufsuchten und an Restaurants, wo wir manchmal als Team einen gemeinsamen Abend verbrachten.
Wenn wir zwischen den Zusammenkünften in Roseville wieder in unsere Heimatländer zurückgeflogen waren, musste jeder für sich mit Hochdruck an seinen Aufgaben weiterarbeiten. Keiner meiner Projektkollegen hatte seinen Arbeitsplatz am gleichen Standort wie ich. Daher arbeitete ich meistens im Home Office und ging nur einmal pro Woche ins Böblinger Büro, um meine alten Kollegen zu sehen. Telefonkonferenzen fanden erst ab 17 Uhr statt, da man sich an den amerikanischen Arbeitszeiten orientierte. Das bedeutete für Europäer bis in den späten Abend zu arbeiten, für Asiaten war es noch schlimmer – sie mussten sich den Wecker stellen, um sich mitten in der Nacht in die Meetings einzuwählen. Meine Familie spricht noch heute davon, dass ich für sie fast nicht mehr erreichbar war. Wenn meine Schwester mich abends anrief, sagte ich oft „Ich hab überhaupt keine Zeit – ich muss arbeiten.“
Nach dem Go-Live unseres Projekts im November 2017 – nach einem Jahr chronischen Jetlags – schlief ich maximal 4 bis 5 Stunden pro Nach. Selbst Schlaftabletten halfen nicht mehr. Mein Kopf wurde immer voller, ich konnte meine Gedanken nicht mehr sortieren, wusste nicht, welche Email ich morgens als erstes öffnen soll. Welche der 40 Aufgaben, die mir aus dem Postfach entgegen sprangen, sollte ich zuerst angehen?
Am 6. Dezember 2017 brach ich zusammen. Eine Managerin aus den USA hatte mir in der Nacht eine Liste mit 100 Fragen ihres Teams zu den neuen Prozessen geschickt, die ich in einer Telefonkonferenz am gleichen Abend beantworten sollte. Ich starrte auf meinen Bildschirm und fühlte mich wie gelähmt. Ich wusste nichts mehr, war total leer, wie ein Vakuum. Ich schaltete den PC aus und ging zu meiner Hausärztin, die mich sofort krankschrieb. Monatelang war die Arbeit mein Leben, und jetzt konnte ich nicht mehr arbeiten. Ich konnte mich auf nichts mehr freuen, auf nichts mehr hoffen, lag auf dem Sofa und starrte Löcher in die Luft. Ich trat nie wieder in das Projekt ein und ging nach 26 Jahren nur noch dreimal in die Firma – um meinen Aufhebungsvertrag zu verhandeln, ihn zu unterschreiben und um mich von alten Kollegen zu verabschieden.
Fazit: Home is Where Your Heart is
Auf meinen Burnout folgte ein langer Genesungsprozess mit Psychotherapie und Reha. Obwohl ich meine Projektkollegen vermisste, war mir bald klar, dass ich nie wieder in die Firma zurückgehen konnte. Eine (vorhersehbare) Begleiterscheinung des großen IT-Projektes war, dass Mitarbeiter abgebaut werden sollten. Ich ergriff die Gelegenheit und habe es keine Sekunde bereut.
Ein Coaching half mir zu erkennen, dass ich überhaupt nicht mehr in den „normalen“ Arbeitsmarkt zurückkehren wollte. Kurz vor meinem 60. Geburtstag entschied ich, mich nur noch mit Dingen zu beschäftigen, die mir wirklich Freude bereiten. Reisen und Schreiben waren immer meine Lieblingsbeschäftigungen, und darauf wollte ich mich fortan konzentrieren. Im gleichen Jahr – Ende 2022 – gründete ich meinen Reiseblog angiestravelroutes.com und trat der Blogger-Community The Content Society bei, die mir half, die schwierige Anfangsphase zu überstehen. Mittlerweile freue ich mich über steigende Leserzahlen und bin stolz auf meine Hartnäckigkeit.
Das herausfordernde, aber auch wunderbare Jahr in Kalifornien, in dem ich großartige Menschen traf und unvergessliche Momente erlebte, war kein verlorenes Jahr. Es hat mich viel über mich selbst gelehrt. Mein Leben lang träumte ich davon, im Ausland zu leben oder einen Job zu haben, bei dem ich ständig reisen kann. Seit meinem Burnout ist mir klar, dass ich mich dort zu Hause fühle, wo ich meine Familie und andere liebe Menschen um mich habe. Das ist in meiner Heimatstadt der Fall. Ich vermisse meine Tochter, die in Innsbruck lebt, sehr, und so könnte ich mir vorstellen, auch in Innsbruck zu leben. Home is where your heart is – die Bedeutung dieses Spruchs habe ich inzwischen erkannt: Das Herz hängt nicht an Orten, sondern an Menschen. Die Menschen, die wir lieben, machen einen Ort zur Heimat, in der wir uns wohlfühlen und wo wir ganz wir selbst sein können.
Ich reise immer noch gern, aber beim Reisen arbeiten möchte ich nicht mehr. Das mache ich lieber zu Hause an meinem Schreibtisch, wo ich einen bequemen Stuhl und wenig Ablenkung habe. Ich habe es am eigenen Leib erfahren: Ständiger Jetlag ist eine Belastung für Körper und Psyche. Ich will das nicht mehr. Manchmal sehe ich an wunderschönen Orten Menschen an ihren Laptops im Café sitzen, die keinen Blick für die herrliche Umgebung haben. Soll das erstrebenswert sein? Das Schöne am Reisen war für mich immer, dass mein Blick komplett nach außen gerichtet ist und ich jeden Moment ganz bewusst erleben kann. Dieses Gefühl möchte ich mir erhalten. Deshalb mache ich zwar unterwegs viele Fotos – das war schon immer mein Hobby – und sammle Informationen, aber meine Blogbeiträge schreibe ich in Ruhe zu Hause.
Mach mit bei meiner Blogparade
Dieser Text ist mein eigener Beitrag zu meiner Blogparade In diesen Städten habe ich schon mal gewohnt, an der du bis 1. September 2024 teilnehmen kannst.
Ich würde mich sehr freuen, wenn du daran teilnimmst. Erzähle uns, in welchen Städten du schon gewohnt hast, welche Erinnerungen sie in dir wachrufen und wie sie dein Leben verändert haben. Alle Infos zur Blogparade findest du hier.
Liebe Angelika,
du kennst meinen Beitrag schon: https://weitgluecklich.com/wohnorte/
Trotzdem melde ich mich auch hier noch einmal, weil dein Text mich so sehr berührt hat! Vor allem den Teil mit der Arbeit kenne ich zu gut. Danke für deine Offenheit auch diese Station zu teilen. Seit unserer Kündigung und dem Start der Weltreise haben wir so viele Themen bei uns angeschaut, dass wir jetzt auch viel bewusster reisen und die Orte ganzheitlich in uns aufsaugen können!
Wie schön, dass das Leben solche Learnings verteilt, oder?
Viele Grüße und alles Gute für dich
Jenny
Liebe Angie,
zunächst fühlte ich mich nicht angesprochen, da ich auch in kleinen Orten bzw. auf dem Dorf gelebt habe – doch beim lesen der anderen Beiträge fiel mir ein, daß ich doch auch in erwähnenswerten Orten wie Stuttgart Bad-Cannstatt oder in Italien nah am Vesuv gelebt habe – vielleicht ist das doch interessant? Ich hänge mich einfach mal mit rein, weil mir die Idee gut gefällt!
Herzliches Ciao von
Silvana
Liebe Silvana,
na klar ist das interessant! Wichtig ist ja auch gar nicht, dass ein Ort besonders schön oder aufregend ist, sondern was er für unser Leben bedeutet. Ich freue mich sehr über deinen tollen Beitrag! Vielen Dank, dass du mitgemacht hast.
Grüßle
Angelika